Silvester 2009

Silvester

Und wieder ging ein Jahr von hinnen,
und wieder will eins neu beginnen.
Was hilft am Schluss die Jammerei?
Das alte Jahr, es ist vorbei. –

Lasst uns viel lieber mit Vertrauen
ins kommende hinüberschauen;
Wird ihm auch Großes nicht gelingen,
manch kleine Freude wird’s schon bringen.

F.X. Rambold

 

 

Die vier Jahreszeiten

Die Sonne war traurig und wütend und hatte keine Lust mehr, die Erde zu erhellen. Überall Streit und Krieg. Sie beschloss zu streiken und legte sich hoch oben hinter einer dicken Wolkenbank zum Ausruhen nieder.
Nach einer Weile fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Der Winter stapfte in einen weißen Fellmantel gekleidet, auf dem Kopf eine dicke Mütze, unendlich oft über die Erde. Immer wieder – immer wieder …
Er fror entsetzlich und wollte schon längst daheim sein in seinem Bett. Alt war er geworden, sein Bart hing ihm zottig im faltigen Gesicht und die Augen blickten glanzlos in die Welt.

Wo blieb nur der Frühling? Ihm wollte er das Zepter übergeben, denn er war sehr müde.
Aber alleine gelang es nicht, dem jungen Spund Beine zu machen.
Deshalb blickte er zum Himmel und wollte die Sonne bitten, ihm mit ihren wärmenden Strahlen zu helfen. Aber wo war sie? Seit langer Zeit hatte er sie nicht gesehen und er machte sich schon ernstlich Sorgen.
In einer besonders eisigen Nacht bat er den Mond und die Sterne, bei ihrem Scheiden nach der Sonne zu sehen. Er erklärte ihnen, dass er nun gehen wolle, es aber alleine nicht schaffen würde, den Frühling herbeizuholen.
Die Gestirne versprachen dem Winter, die Sonne zu verständigen und zogen weiter auf ihrer Bahn. Am frühesten Morgen, als es bereits dämmerte, durchstöberten sie das Himmelszelt nach dem Morgenstern. Sie suchten und suchten, bis das kleinste Sternchen Mutter Sonne, eingebettet in den Wolken, entdeckte. Sie schnarchte entsetzlich und ihr Schlaf war so fest, dass sie einfach nichts hörte und auch nicht munter wurde. Gemeinsam schafften es die Sterne mit Hilfe des Mondes, sie aufzuwecken.
Müde und entsetzlich gähnend rieb sie sich die Augen und erhob sich missmutig.
Als sie hörte, dass der Winter ihrer bedurfte überwand sie ihren Zorn auf die Menschen und schickte ein paar Strahlen zwischen den Wolken hindurch. Dann schob sie sich langsam und bedächtig selbst nach oben, drückte die Wolken beiseite und strahlte so gut sie nur konnte.
Der Winter freute sich und gab seinem Schnee den Befehl, keinen Widerstand zu leisten.
Seinen Gesellen, den Frost, bat er, sich davon zu trollen. Es ist Zeit zu gehen, erklärte er.

Der Frühling lag noch faul auf dem Teil der Erde, auf dem es nicht so kalt war. Gut zugedeckt hatte er sich, damit er nicht doch fror. Natürlich bemerkte er das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf seiner Nasenspitze und musste niesen.
„Fauler Geselle“, flüsterten die Sonnenkinder, „mach dich auf, spute dich, der Winter ist heimgegangen. Deine Zeit ist gekommen!“
Schnell sprang der Jüngling auf, schnappte seinen Blütenstab und machte sich auf den Weg. Mit seinem Stecken berührte er die Orte der Erde, an denen die ersten Frühlingsblumen schon auf ihn warteten. Schneeglöckchen, Krokusse, Huflattich und sogar die Veilchen streckten sich vorsichtig aus den Schneeresten. Das war ein Rüsten!
Ein paar Tage später waren alle Blüten da und auch die Insekten flogen schon eifrig. Bienen und Hummeln waren fleißig am Sammeln von Blütenstaub und Nektar.
Es lag ein Duft in der Luft, ebenso ein Brummen und Summen.
Tulpen, Narzissen und Osterglocken wagten sich heraus und dann war Ostern.
Bunte Eier versteckte der Hase für die Kinder, die noch an ihn glaubten. Glocken riefen zum Gottesdienst und Menschen spazierten durch die grünen Wiesen, die bald übersät mit den gelben Löwenzahnblüten waren. Im Mai feierten die Erdbewohner den Muttertag, die Natur hielt herrliche Blumen dafür bereit, man musste sie nur pflücken.
Nachdem die wüsten Gesellen: Pankratius, Servatius und Bonifatius die Pflanzen noch einmal erschreckt hatten mit ihrem eisigen Hauch, entspannte die Sophie alles und spendete einen reinigenden Regen. Nun waren die Menschen mit der Gartenarbeit beschäftigt und Anfang Juni spross und blühte es bereits in den Gärten. Mittlerweile war der Frühling sehr müde geworden und sehnte sich nach Ruhe. Er wartete auf den Sommer, der mit einem Korb voller Blumen und ersten Früchten kommen sollte.

Aber auch dieser wollte sich noch Zeit lassen und trödelte am anderen Ende der Welt herum. Es war die Sonne, die ihn antrieb, indem sie ihm richtig einheizte.
„Ich komm ja schon“, meinte er beleidigt, so gejagt zu werden.
Leichtfüßig durchwanderte er die Lande und hinterließ eine farbenprächtige Blütenfülle.
Hitze brachte er mit, an der die Sonne nicht ganz unschuldig war.
Die Menschen badeten in Seen und Freibädern, machten Urlaub, wanderten und freuten sich.
Kaum war es September geworden, wollte der Sommer nicht mehr.
„Sag dem Herbst“, meinte er zur Sonne, „er soll bald antreten. Ich will fort!“

Die dritte Jahreszeit konnte es kaum erwarten, denn sie hatte ihr Füllhorn dabei. Darin befanden sich Obst, Gemüse und schöne Herbstblumen. Alles schüttete sie aus!
Die Menschen feierten das Erntedankfest und die Sonne freute sich, weil sie nicht ganz unschuldig an dieser Fülle war.
Der Herbst wanderte durch Berg und Tal, naschte Weintrauben, Zwetschgen und Äpfel. Dann pflückte er sich noch einen schönen Strauß Astern und dachte wehmütig daran, dass es bald kalt werden würde. Wo er vorbeiging, ‚bemalte“ er das Laub. Das sah herrlich aus und er ergötzte sich daran. Dann schüttelte er sich und beschloss, dieses Jahr kampflos für den Winter Platz zu machen. Dieser würde wieder ein strenges Regiment führen. Vorher aber wurde noch der Knecht des Herbstes, der auch dem Winter diente, gerufen. Der Sturm musste all die schöngefärbten Blätter von den Bäumen wehen. Hui, das sah lustig aus. Die Kinder ließen ihre Drachen steigen und überall lagen Berge des Blattzeugs.

Mittlerweile sah man in der Ferne schon den Winter daherstapfen. Ausgeruht brachte er Kälte, Eis und Schnee mit sich. So liebte er es, alles kahl und keine Blumen. Wehe wenn er eine Blüte erwischte, die hauchte er mit seinem eisigen Atem an und sie musste erbarmungslos sterben.
Im bald tief verschneiten Land wurde Advent, Weihnachten und Silvester gefeiert.
Die Kinder fuhren Ski und Schlitten, bauten Schneemänner oder tollten einfach nur herum.
Der Januar krachte vor Kälte und der Winter nahm sich vor, es dieses Jahr besonders schlimm zu treiben, weil er von seinem letzten Besuch noch wütend war. Bis in den April wolle er dableiben, nahm er sich vor. Sein Wunsch sollte aber nicht in Erfüllung gehen, denn die Sonne war dieses Mal nicht schlafen gegangen und wollte ihn nicht so lange wüten lassen. Es darf auch nicht jedes Jahr gleich sein, sagte sie zu sich.

Und so folgen Jahr für Jahr die vier Jahreszeiten aufeinander und erfreuen und belasten, Mensch, Tier und auch die Pflanzen. Es wird Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Nur ... die Sonne wird immer gebraucht, ohne sie wäre es finster und kalt und es könnte nichts wachsen und gedeihen.

Heidi Gotti