Meine Tanzstunde

Gegen Ende unserer Schulzeit, durften wir, die Schüler der Abschlussklasse einen Tanzkurs besuchen. Was waren wir aufgeregt, als es uns der Lehrer vorschlug. Das war ein "Geschnatter", 40 Mädchen legten auf einmal los. Begleitet wurde unser Redefluss natürlich auch mit dem bei Mädchen so üblichen Gekicher. Es war nicht zu überhören! Wenn ich heute daran denke, tut mir unser Lehrer entsetzlich leid. Aber er nahm es ganz gelassen hin und ließ uns einfach in Ruhe. Mit einem Schmunzeln verfolgte er unsere Reaktion auf dieses Angebot der Schule. Mit der Zeit beruhigten wir uns etwas und nun begann für unseren Lehrer, den wir mit Spitznamen "Schnuffi" nannten, die Fragestunde. Alles, aber auch alles mussten wir wissen. Natürlich war für Mädels das Wichtigste: Sind auch Jungs dabei? Sicher waren auch Burschen dabei, wurde uns versichert. Das reichte erst einmal für den Anfang. Weiter mussten wir uns -wir wären ja sonst keine kleinen Evas gewesen - mit dem Kleiderproblem beschäftigen. Das wäre nicht so schlimm, erst beim Abschlussball wäre es wichtig, uns in Schale zu werfen, erfuhren wir. Alle sahen wir uns natürlich schon als wunderschöne "Prinzessinnen" durch einen herrlich geschmückten Saal schweben.

Diese Tanzstunde war natürlich kein "Muss" und unsere Eltern mussten selbstverständlich auch einverstanden sein. Alle Eltern begrüßten dieses Angebot, waren wir doch unter Aufsicht und gut aufgehoben. Parallel zum Tanzen wurde auch ein "Benimmkurs" angeboten. Darüber waren wir natürlich nicht sehr erfreut, unsere Eltern aber umso mehr.
Der Termin dieses Kurses musste zu unseren Schulstunden passen, um unsere schulischen Leistungen nicht zu sehr zu belasten. Aber das war schnell erledigt. Nachdem wir jeden Nachmittag Schule hatten, blieb sowieso nur der Abend. Auch die Samstage waren bis zum frühen Nachmittag noch mit Schulstunden vollgestopft.
Am ersten Abend unseres Tanzkurses waren wir schrecklich aufgeregt. Wir alle standen in der Mitte des Saales und - wie konnte es anders sein - schnatterten und kicherten wieder extrem laut.
Die Saaltüre öffnete sich und die Jungs kamen herein. Schlagartig hatte es uns die Sprache verschlagen. Bis auf zwei bis drei Mädchen waren wir noch sehr unerfahren im Umgang mit dem anderen Geschlecht und somit entsetzlich schüchtern. Aber den "Knaben" erging es nicht anders, waren sie von der Statur doch noch etwas zärtlicher beschaffen als wir. Auch was das Mundwerk betraf konnten sie uns nicht das Wasser reichen.
Ja, und so lernten wir Schritt für Schritt einige der damals gängigen Tänze: Foxtrott, Walzer, Tango, Marsch.... Anfangs wurden wir den Jungs "zugeteilt". Für uns Mädchen waren Stühle auf der einen Seite des Saales aufgestellt und für die Burschen auf der anderen. Somit war klar, dass der Junge auf dem ersten Stuhl mit dem Mädchen gegenüber zu tanzen hatte. Das änderte sich aber im Laufe der Abende immer mehr. Selbstverständlich schlugen sich die Jungs um uns, natürlich nicht vor uns, sondern nach der Tanzstunde diskret draußen auf dem Heimweg. Damals wunderten wir Mädels uns nur, dass unser Tanzpartner ab und zu einige "Verletzungen" vorzuweisen hatte. Manchmal an der Nase, oder an der Stirn. Das war dann der "Sieg", mit dem auserwählten Mädchen tanzen zu dürfen. Somit hatte sich auch die Sitzordnung verschoben und mit der Zeit auch die "Rangordnung" geklärt. Pärchen hatten sich zusammengefunden. Anfangs waren wir Mädels sehr naiv, aber mit der Zeit sprach es sich herum, dass um uns so einige Kämpfe ausgefochten worden waren.

Nun zu unserem Benimm-Unterricht. Verschiedene Regeln gibt es, lernten wir dort. Natürlich unter dem Gekicher von uns und dem der Burschen. Aber es dauerte nicht lange und wir "hatten" es, es ging uns in Fleisch und Blut über, wie man so schön sagt.
Tanzen konnten wir auch schon recht ordentlich und der Spaß am Lernen immer neuer Tänze wuchs.
Der Termin des Abschlussballs rückte immer näher und wir wurden immer aufgeregter.
Natürlich waren die meisten von uns und deren Eltern nicht mit Reichtümern gesegnet.
Also die bange Frage, was ziehe ich an diesem Abend an? Was hatte ich Glück, dass meine Mutti nähen konnte. In der nächst größeren Stadt kaufte sie für mich einen weißgelblichen Brokat, der mit Silber- und Goldfäden durchwirkt war. Das Kleid sollte oben etwas ausgeschnitten sein, mit einem weitschwingenden Rock. Der damals übliche Petticoat musste selbstverständlich auch mit Spitzen verziert und sehr duftig und weit sein. Mein Vati, ich liebte ihn dafür, tapezierte meine hochhackigen Schuhe mit Stoffresten, die vom Kleid übrig geblieben waren. Ich kam mir bei der ersten Anprobe vor wie eine Prinzessin. Für mein pechschwarzes Haar dachte sich Mutti was ganz Besonderes aus. Als wir aus der Heimat vertrieben wurden, hatte sie ein paar Schmuckstücke in meinen Windeln versteckt heraus schmuggeln können. Eine Kette war dabei mit blutroten böhmischen Granaten. Nachdem Mutti die Kette entfernt hatte, nähte sie die Steine auf ein schwarzes Samtband, das sie in meinem Haar befestigte. Dazu Ohrringe mit denselben Steinen. Meinem Tanzpartner verschlug es förmlich die Luft, als er mich - wie es sich damals gehörte - zum Ball abholte.
Aufgeregt führten wir unsere einstudierten Tänze vor und alle Eltern und Gäste spendeten uns begeisterten Applaus. Natürlich war hinterher die Tanzfläche für alle freigegeben.
Ab einer bestimmten Zeit zogen sich die Älteren diskret zurück und wir Jungen waren uns selbst überlassen. Vorher mussten die Burschen noch versprechen, dass sie ihre Tanzpartnerinnen auch brav nach Hause begleiten würden. So war das damals.
Natürlich wurde es an diesem Abend spät, es war uns ausnahmsweise gestattet worden.
Übrigens wurde mein damaliger Tanzpartner auch mein erster Mann.

Heidi Gotti

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