Unter Tage

Erinnerungen an ein Bergwerk

Der Fahrstuhl rüttelt und schüttelt. Wir Frauen schreien aus Spaß, lachen und klammern uns aneinander. Der Weg führt in die Tiefe, ins Bad Friedrichshaller Bergwerk.

HALT da war doch schon einmal etwas und plötzlich fühle ich mich Jahrzehnte zurückversetzt. Es muss ungefähr 1975 gewesen sein. Meine Tochter würde im nächsten Schuljahr in die Realschule wechseln, denn das Zeugnis war gut. Die letzten Jahre waren nicht einfach gewesen für das Mädchen, ihre beiden Brüder und auch für mich. Nach der Scheidung von meinem Mann lebten wir sehr unruhig und Schmalhans Küchenmeister war unser Gast. Wie gut, dass meine Eltern uns finanziell unter die Arme griffen. Zur Belohnung setzte ich mich in den Sommerferien mit meiner Tochter ins Auto und wir fuhren Richtung Österreich. Salzburg, die Tauern, der Wolfgangsee, Mondsee und und und … lagen bereits auf unserer Fahrtroute. Nach sonnigen und herrlichen Tagen an wunderschönen Orten hatte es nun aber heftig zu regnen begonnen. Bad Ischl zeigte sich sehr verhangen und trist. Deshalb wollten wir ins nahe Bergwerk. Bei der Ankunft konnten wir unsere Handtaschen in einem abschließbaren Fach deponieren und steckten schnell den Schlüssel in die Hosentaschen. Anschließend wurde uns ein Raum gezeigt, in dem man sich die nötige Kleidung aussuchen sollte. Es hingen Anzüge à la Kanalwackes die Wände entlang an Haken. So ungefähr checkten wir die Größe ab und zogen die Dinger an. Lachend drehten wir uns im Kreis und bewunderten das neue Outfit. Sollten wir in diesen Anzügen zum Mond?
Natürlich waren wir nicht alleine, denn bei dem Wetter hatten viele Menschen dieselbe Idee, nämlich unter Tage zu reisen.
Als der Trupp auf die notwendige Größe angewachsen war, sollten wir uns auf einen Balken setzen. Der war oben der Länge nach etwas verdickt für den Po, in der Mitte verschlankt und unten befand sich ein kleines Podest für die Beine. Gemütlich sah es nicht aus, aber damals noch rank und schlank, hatte ich kein Problem damit. Wir saßen hintereinander auf diesem Längsbalken, rechts und links die Beine an diesen gepresst. Unsere Gliedmaßen sollten wir dicht am Körper halten, sich entweder am Vordermann oder zwischen den eigenen Beinen am Holz festhalten. Auch die Köpfe mussten eingezogen werden.
Dann ging es los – in rasender Fahrt. Man hörte es rumpeln und der Hintern meldete sich. Die Wände rechts und links rasten unmittelbar an einem vorbei, ebenso die Steindecke über den Köpfen. Vage nahm man von Zeit zu Zeit eine gedämpfte Notbeleuchtung wahr. Wann würden wir endlich am Ziel sein? Mir wurde mulmig! Eine lange Zeit verging und ich hielt meine Tochter, die vor mir saß, umarmt.
Endlich durften wir absteigen. Man fühlte sich richtig verkrampft und die Dehnübungen begannen. Dann ging es über Rutschen, Hühnerleitern, Geröll und engen Gängen in die Tiefe des Berges und wieder hoch. An die Erklärungen unseres Führers kann ich mich nicht mehr erinnern. Meine Tochter war so still, fiel mir nach einiger Zeit auf. Das war ich von ihr absolut nicht gewohnt. Das sonst so selbständige Mädchen hielt sich konsequent an meiner Seite. Ich muss heute noch darüber lächeln.
Nach der Führung waren wir bei der Fahrt zurück bereits geeicht. Leider regnete es draußen immer noch, aber wir waren erfüllt von einem tollen Erlebnis.

Ein Rums … der Aufzug hält und die Tür öffnet sich. Nein … wir haben keine Astronautenanzüge an, sondern unsere normalen Kleidungsstücke. Auch sind die Gänge breit und bequem zu begehen, so breit, dass sogar Lastwagen fahren können. Eine Überraschung nach der anderen offenbart sich und sogar riesige saalartige Gewölbe tun sich auf. Nach einer Weile ist man so fasziniert, dass man vergisst, sich unter Tage zu befinden. Und das Wichtigste … ich habe meine Freunde bei mir, die ich mag und auf die ich nie mehr verzichten möchte, denn gemeinsam ist es viel schöner als einsam.

Heidi Gotti

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