Warum ... kämpfen?

 

Hier lieg ich nun in der Klinik nach dieser schweren Operation.
Niemand darf mich besuchen, es wäre viel zu gefährlich.


Hinter der Glasscheibe steht meine Familie.

Mein Mann! Besorgt sieht er aus, oder tut er nur so? Für wie dumm hält er mich? Nach 25 Ehejahren bemerkte ich sofort, dass was nicht mehr stimmt. Die Gewissheit konnte ich mit eigenen Augen feststellen. Er hat eine Andere. Sie ist nicht schöner als ich und auch nicht jünger. Also warum? Was hat sie, was ich nicht habe? Anfangs versteckten sich die Beiden. Mittlerweise ist es kein Geheimnis mehr. Auch den Kindern blieb es nicht verborgen. Auf meine Frage hieß es nur: "Du spinnst." Nun steht er hier und wird schon nervös sein, schnell zu ihr zu kommen. Scheinheilig wischt er eine mit Mühe produzierte Träne aus dem rechten Auge. Meine Kinder, so nenne ich sie mittlerweile. Hat er nicht das Recht auf den Ausdruck 'unsere' verwirkt? Sie stehen etwas abseits, finden diesen Zustand nicht in Ordnung.

Meine Jüngste, Tränen laufen über ihre Wangen. Mit ihren fünfzehn Jahren braucht sie mich so sehr. Die erste Liebe endete eben erst enttäuschend und dann noch ihr heiß geliebter Papa! Wie muss es in dem Mädel aussehen! Als drittes Kind hatte sie es damals sehr eilig gehabt, auf die Welt zu kommen. Nachdem es dann auch noch endlich das erwünschte Mädchen war, schien das Glück perfekt. War es damals auch! Die Brüder, ganz vernarrt in die Kleine, vergötterten das Wesen. Ab und zu brach aber doch eine gewisse Eifersucht und Missgunst durch. Das Mädel durfte vieles, was den Buben versagt geblieben war. Papas Liebling beherrschte die gesamte Familie. Ein Blick und ihre Wünsche mussten sich erfüllen, sonst... Sie hatte ihre eigene Methode, fühlen zu lassen, das will ich und nun habe ich es nicht bekommen. Es war wie ein drohender Weltuntergang. Hatte Papa dann wieder einmal nachgegeben, herrschte eitel Sonnenschein und die Welt war in Ordnung. Deshalb diese Riesenenttäuschung, die Angst, Papa zieht zu seiner Freundin. Die Tochter suchte Nestwärme und welche Mutter wäre nicht bereit, sie zu geben? Es war ein erzwungener Reifungsprozess, den die Kleine in kürzester Zeit durchmachte. Sie wurde zur Frau.
Kaum stand die Mutter ihr nahe wie noch nie, machte sich diese tückische Krankheit bemerkbar. Was muss das Mädchen leiden!

Der jüngere Bruder Jens legt den Arm um ihre Schultern. Er ist der sensiblere der beiden Jungs. Mit seinen neunzehn Jahren schon sehr erwachsen. Auch er leidet unter dem Gebaren des Vaters. Litt vorher schon, weil der Papa immer das Töchterchen vorzog. Vielleicht wurde er durch seine Geburt empfindsam? Sie war sehr schwer und dauerte entsetzlich lange. Aber danach war er leicht zu lenken. Einfühlsam, merkte er sofort, nicht richtig gehandelt zu haben.

Sein großer Bruder hatte es da viel einfacher. Er bemerkte nicht einmal wie viel Schaden er oft anrichtete. Spontan ließ er seinem Ärger freien Lauf. Es kam vor, dass er Vater die Meinung sagte, wenn das Schwesterchen mal wieder bevorzugt wurde. Als Einziger der drei Geschwister erklärte er seinem Erzeuger, dass er es ‚blöd' finde mit der anderen Frau. Dann solle Papa halt gehen, wenn sie für ihn so wichtig wäre. Ob er es dadurch wirklich leichter hatte, würde man nie erfahren.

Müde bin ich und möchte nicht mehr denken müssen. Alles um mich verschwimmt, ich fühle mich schwer werden! Meine Kinder sehe ich nur noch wie im Nebel.

Mein letzter Gedanke, lohnt es sich zu kämpfen für dieses Leben?
Ich weiß es nicht!

Heidi Gotti

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